Email-Wechsel eines Kernphysikers mit einer Dichterin

 

Lieber Jens,

jetzt ist immerhin mal ein Text fertig. Mit "luftleerer Raum" bin ich nicht so glücklich, aber "Vakuum" passt nicht als Wort.

 

Bisweilen öffnet man einen Schrank und findet die Stille

Hinter den Türen der großen Computer ist das Schweigen 

Das Fehlen von Stimmengewirr zwischen den blinkenden

Lämpchen den Kabeln Prozessoren und Grafikchips

Fließt der Strom aus Daten heimlich dahin werden

Datensätze von niemand gesprochen auch nicht geflüstert

Wir legen ein Ohr an die Türen der großen Computer wir hören

Ihrem Rauschen zu denn es erinnert uns an etwas von früher

Es könnte das Echo eines großen Knalls sein

Oder eine der Geschichten jener Märchenerzähler

Die uns damals die Welt erklärten indem sie das Atmen

Dem Himmel zuordneten den luftleeren Raum der Erde

Wir fragen uns ob aus dieser Art Schweigen die Stille entstand

 

Viele Grüße

Ursula

 

Grüße aus der Leere:

Liebe Ursula,

Dynamisches Vakuum in Beschleunigern.

Das gefällt mir schon in der Überschrift. Vakuum ist die Abwesenheit von allem. Der leere Raum. Ohne Materie, ohne Gas. Das ideale Vakuum ist ein langweiliger öder Ort. Wir hätten ihn gerne so, um unserem gegen kleinste  Mengen von Gas so empfindlichen Ionenstrahl jede Störung zu ersparen. Leider sind in einem realen, mit unseren technischen Mitteln erzeugbaren Vakuum Reste von Gas. Einzelne Atome bzw. Moleküle von Gas. Wir nennen es Restgas. Wenn man eine Reise durch diese große leere Öde unternimmt, trifft man im statistischen Mittel nur etwa alle hunderttausend Kilometer auf ein Gasmolekül dieses Restgases. Wir interessieren uns für den Druck des Restgases und dessen Zusammensetzung.

Das Vakuum wird zunächst durch Pumpen erzeugt, überwacht von vielen Messgeräten, die sorgsam darauf achten, dass weiterhin „das Nichts“ im Inneren der teuren Metallröhren ist. Immer wieder entstehen Vakuumlecks und irgendwelche Störenfriede aus der umgebenden Luft, die wir zum Atmen brauchen, gelangen in den Beschleuniger, der Druck erhöht sich. Teilweise sind die Auslöser gar keine Lecks in dem Vakuumgefäß, sondern  Spuren der Menschen, die an dem Beschleuniger arbeiten. Ein Fingerabdruck auf der inneren Oberfläche der Vakuumkammer kann über Monate hinweg verdampfen und so ständig für einen Druckanstieg an der betreffenden Stelle sorgen. Die Techniker arbeiten mit Handschuhen wie im Operationssaal und putzen nach jedem Arbeitsschritt mit fusselfreien Tüchern und Alkohol.

Die Pumpen sind zum Teil mechanische Konstruktionen, wie ein Kompressor oder ein Turbolader, die unseren Automotoren beim Atmen helfen. Hier nur in umgekehrter Funktion versuchen diese noch das letzte Atom des Gases aus dem Beschleuniger zu saugen. Aber selbst mit Turbinen, die sich mit hunderttausend Umdrehungen pro Minute drehen, können wir den Druck nicht so weit senken, wie wir es zum Betrieb der Anlage benötigen. Deswegen gibt es zusätzlich eine ganz andere Art von Pumpen. Diese versuchen, anstatt das Gas wegzuschaffen, es auf einer Oberfläche zu binden.  Entweder ist dies eine Oberfläche, die porös ist, ein Schwamm auf molekularer Ebene. Eine Oberfläche, die, wenn sich ein Atom auf ihr niederlässt, dieses idealerweise nie wieder entkommen lässt. Eine andere Möglichkeit, dieses Verhalten zu erreichen, ist, eine normale Oberfläche sehr kalt zu machen. Wenn man eine Oberfläche im Vakuum abkühlt, schlagen sich bei sinkender Temperatur nach und nach die verschiedenen Gase auf ihr nieder und frieren fest. Wie der Wasserdampf aus der Luft, der im Winter auf der ganzen Landschaft zu Reif gefriert. Um den störrischsten Bestandteil in unserem Restgas, den Wasserstoff, so zu bändigen, muss die pumpende Oberfläche auf wenige Grad über den absoluten Nullpunkt abgekühlt werden.

Das ist alles statisches Vakuum. Was ist jetzt dynamisches Vakuum? Das ist, wenn man es sich einfach als Wortgebilde anguckt, ein sehr seltsames Konstrukt. Die Dynamik der Leere ?

Wie verstehen darunter einen Effekt, der erst sichtbar wird, wenn wir den Beschleuniger betreiben. Die Ionen, elektrisch geladene Atome, aus denen der Strahl sich zusammensetzt, können auf ihrem Weg durch den Beschleuniger mit den wenigen Atomen des Restgases kollidieren. Bei diesen unhörbaren, aber aufgrund der hohen Energie heftigen Zusammenstößen, können die Ionen sich stärker aufladen oder auch Ladung verlieren.

Was passiert da?

Ionen sind Atome, denen man entweder zusätzliche Elektronen gegeben oder genommen hat. Die positive elektrische Ladung des Atomkerns wird im neutralen Zustand durch die negativen Elektronen in der Atomhülle kompensiert. Bei unseren Ionen im Beschleuniger fehlen schon einige der Elektronen. Wenn es jetzt zu einem Zusammenstoß mit einem Teilchen des Restgases kommt, werden meist weitere Elektronen abgestreift, die Ladung des Ions wird positiver. Es kann auch passieren, dass das Ion nach dem Zusammenstoß ein Elektron des Restgasteilchens mitgenommen hat. Dann ist die Ladung niedriger.

Für das Ion aus dem empfindlichen Teilchenstrahl bleibt dieser Wechsel des Masse-zu-Ladungsverhältnisses  nicht ohne Folgen. Es wird in den Magneten, die den Strahl auf seiner Bahn halten, stärker oder schwächer abgelenkt  und kann dem Verlauf der Beschleunigerröhre nicht mehr folgen. Es trifft auf die Wand der Vakuumkammer.

Dort auf der Oberfläche befindet sich ein Film von Restgas, der, aufgewirbelt von dem mit großer Energie auftreffenden umgeladenen Teilchen, eine kleine Gaswolke in der Vakuumkammer  bildet. Diese aufgewirbelten Gasteilchen werden natürlich sofort von anderen Ionen aus unserem beschleunigten Strahl getroffen und dann ändern weitere Strahlteilchen ihre Ladung und gehen verloren. In Folge wird noch mehr Gas erzeugt. Das Ganze führt zu einem folgenschweren Lawineneffekt, der Strahl geht in Bruchteilen von Sekunden verloren, wenn diese dynamischen Vakuumeffekte zu stark werden.

Das führt zu der seltsamen Situation, dass der Beschleuniger mehr Strahl liefert, wenn man weniger Teilchen einschießt, wenn man sich in dem Bereich der dynamischen Vakuumeffekte bewegt. Die wenigen Teilchen treffen weniger oft auf Restgas und machen weniger dynamische Gasstöße. Wir nennen dies Desorption.

Die Desorptionsrate ist die Zahl der Gasteilchen, die ein einzelnes verlorenes Strahlteilchen von der Oberfläche aufwirbelt. Dies sind auf einer normalen Vakuumkammer etwa zehntausend. Wir haben besondere Materialen gefunden, die pro verlorenem Strahlion nur etwa hundert Gasteilchen desorbieren. Um die dynamischen Vakuumeffekte bei unseren Beschleunigern zu vermeiden, versuchen wir die umgeladenen Teilchen nur auf Oberflächen aus diesem Material zu verlieren. Zusätzlich haben wir viele Pumpen und pumpende Oberflächen, um das neu freigewordene Gas direkt wieder einzufangen. Das dynamische Vakuum zu kontrollieren.

Die Kontrolle der Strahlverluste durch dynamisches Vakuum ist einer der größten wissenschaftlichen Fortschritte in der Erforschung von Beschleunigern in jüngster Zeit. Ich habe gerade eine wissenschaftliche Arbeit aus China im „peer review“, die sich damit befasst.

Liebe Grüße

Jens

 

So, lieber Jens, ich habe wieder einen Text. Hier ist er:  

 

Neunaugen

Diese Kernphysiker sehen eigentlich ganz normal aus

Bis sie anfangen zu schauen ahnt niemand etwas

Von ihren neun Augen und dem schnellen Ticken ihrer Herzen

Und davon wie zärtlich sie ins Innerste von Sternen blicken

Während sie diese Ionodrome bauen die Ionenkanonen und Kernfallen

Und feinste Gasatome einfangen und wieder fallenlassen ein Spiel

In dem ein einziger Fingerabdruck das Nichts zerstören kann

Und der menschliche Atem ein Universum ist einem Kopf vergleichbar

In welchem das Wort sich formt mit den rasenden Ionen

Und wo in der Geschwindigkeit der Stillstand enthalten ist

Im Rauschen der Zellen das Echo ferner Himmelskörper

Erst jenseits von Bildern geschieht das Schauen

 

Liebe Grüße,

Ursula

 

Kommentare von Jens Stadlmann

Zum Titel:

Lebende Fossilen

Zu Strophe 2:

Da steckt ganz viel Vakuumtechnik drin. Das weiß ich jetzt, weil es von mir kam. Ob es ein unbedarfter Leser versteht? Ein Rätsel, wie unsere ganze Forschung. Dies gefällt mir.  

 

Und noch eines:

  

Beschleuniger

Dieses Schießen erinnert uns an unsere kleinen Freunde die früher

Kimme und Korn schrien und später Headhunter oder Physiker wurden

Wesen welche wir niemals verstanden weil sie die Welt als großen

Experimentierkasten erlebten und sich selbst als Zauberlehrling

Unsere einzige Aufgabe war es damals Haut und Haar zu spenden

Für Mikroskope und Heldenlieder zu singen von der Tribüne herab

Während sie das Ziel nie aus den Augen verloren und den Horizont

Immer weiter hinausschoben bis auch wir mit einem Fuß im All standen

Was eine wacklige Angelegenheit ist und während wir noch im

Blinken der Sterne Morsezeichen erkennen rechnen sie bereits

Zerfallsketten neuer Elemente aus und sprechen von exotischen Kernen

Sie spalten Atome und wir nähen die Welt mit Knochen und Haar wieder zusammen

 

Liebe Grüße,

Ursula

 

Kommentare von Jens Stadlmann

Zu Strophe 1:

Das spricht mich persönlich an. Irgendwie versuche ich, und ich glaube viele meiner Kollegen, nicht erwachsen zu werden. Wir wollen der neugierige kleine Junge bleiben, um unseren Job zu machen.

Zum Text:

Das finde ich insgesamt sehr rund. Einmal quer durch die GSI in 3 Versen. Ich glaube da würden sich viele Menschen, die hier tätig sind, erkennen.

 

Vom Tanz der Teilchen

Hi Ursula,

Du hattest das „Schießen“, das wir tatsächlich als Wort dauernd benutzen, aufgenommen, geschrieben. Womit man das zusammen bringen könnte, wäre statt mit Tod und Zerstörung auch mit der Jagd. Das ist jetzt nicht (mehr) mein Fachgebiet aber tatsächlich schießen wir mit unseren Teilchen, um etwas herauszufinden. Oft ist es eine echte Jagd. Nach dem neuen Element, nach dem  ersten Nachweis eines bestimmten, schwer herzustellenden Isotops. Die erste Beobachtung eines seltenen Vorgangs.

Die neuen Elemente sind eines der Steckenpferde der GSI. Moderne Alchemie. Wo in der mittelalterlichen Alchemistenküche noch der Stein des Weisen gesucht wurde oder andere Wege, um Gold herzustellen und die vielen Fehlversuche die Chemie begründeten und viele der Elemente entdeckt wurden, aus denen unsere Welt entsteht, suchen wir inzwischen gezielt nach neuen Elementen, die es zumindest hier auf der Erde nicht in der Natur gibt.

Was für ein Element wir haben, wird von der Anzahl der geladenen Kernbausteine, den sogenannten Protonen, bestimmt. Das ist zunächst seltsam, weil wir Elemente anhand ihrer chemischen Eigenschaften unterscheiden. Gold leitet Strom und Wärme, ist sehr „edel“ (wenig reaktiv) usw., Kohlenstoff ist schwarz, brennt (als Kohle), hält sehr viel Hitze aus, wenn man ihn ohne Sauerstoff erhitzt usw.. Das sind alles Eigenschaften, die von der Elektronenhülle stammen. Der Kern spielt da nur insofern eine Rolle, dass die negativen Elektronen der Atomhülle das Gleichgewicht mit den Protonen im  Kern halten müssen.  Also bestimmt der Kern nur indirekt die chemischen Eigenschaften der Elemente.

Was sind jetzt Isotope: Das sind Kerne, die eine feste Anzahl Protonen haben, aber eine andere Anzahl der neutralen Kernbausteine, Neutronen. Die äußeren Eigenschaften sind also völlig gleich. Aber der Kern ist leichter oder schwerer und kann andere Kerneigenschaften haben, z.B. irgendwann eine Kernumwandlung durchmachen und dann radioaktive Strahlung aussenden.

Die Forscher hier jagen mit ihren Schüssen aus dem Beschleuniger Isotopen hinterher, die ganz viele oder ganz wenige Neutronen haben und dann sehr extreme Eigenschaften aufweisen können. Teilweise leben sie nur für Bruchteile einer Sekunde und in dieser kurzen Zeit will man sie nicht nur erzeugen, sondern auch untersuchen.

Das zunächst zu den Schüssen.

Jetzt zum Titel der Email:

Der Tanz der Teilchen

Mein Job als Beschleunigerphysiker ist, einen Strahl aus geladenen Atomen mit bestimmten Strahleigenschaften zu den Experimenten zu bringen. Was sind Eigenschaften?  Das ist zum einen die Geschwindigkeit der Teilchen, die Energie. Die Anzahl der Teilchen. Aber auch Dinge wie die Größe des Strahlflecks. Also wo können die Teilchen sein. Und auch die Abfolge. Kommen sie alle auf einmal in einer extrakurzen Zeit oder über mehrere Sekunden verteilt.

Im Ringbeschleuniger gibt es interessante Wörter.

Die Teilchen werden von Magneten abgelenkt, von Dipolmagneten oder Ablenkern. Andere Magnete, sogenannte Quadrupole oder auch magnetische Linsen in Singulet-, Duplett- oder Trippletanordnung (also ein, zwei oder drei Magnete) halten die Teilchen auf der Bahn. Fokussieren sie. Also lenken die Teilchen immer wieder zurück auf die gedachte ideale Kreisbahn. Dabei bewegen sich die Teilchen beschwingt oszillierend entlang dieser idealen Linie. Immer von rechts nach links und zurück und von oben nach unten und zurück. Wir nennen das Betatronoszillation. Und jetzt kommt es: Die Zahl der  Schwingungen pro Runde im Kreisbeschleuniger nennen wir „tune“ also „Stimmung“ oder auch „Melodie“.  Die Kombination aus horizontalem und vertikalem Tune „Arbeitspunkt“.  Also die Teilchen tanzen um unsere „Strahlachse“ in dem Rhythmus, den die Stimmung, bzw. der Arbeitspunkt vorgibt.

Wenn der Arbeitspunkt schlecht gewählt ist, gibt es eine Resonanz. Die Teilchen gehen verloren. Das kann man sich vielleicht wie das Pfeifen bei einer Rückkopplung mit einem Mikrofon vorstellen. Nur statt immer lauterem Geräusch werden die Schwingungen um die Achse immer (die Amplitude nimmt zu) größer, bis die Teilchen die Wände des Beschleunigerrohrs, der Vakuumkammer treffen und verloren gehen.

Das hast Du im Prinzip  sogar schon mal gesehen. Die Lücken in den Ringen des Saturns sind solche resonanten Arbeitspunkte. Nur nicht für Ionen sondern für Staubteilchen.  Da können sich die Ministeine nicht auf ihrer Bahn stabilisieren und gehen auch verloren. Nur eben nicht in Sekunden sondern in Jahrtausenden und Millionen.  Aber es ist eine Lücke in der Kreisbahn, wo keine Teilchen sind. genau wie in unserem Beschleuniger .

Die ganze Anordnung von Magneten nennen wir Gitter (Lattice) und die Beschäftigung damit Ionenoptik, weil die geladenen Teilchen sehr ähnlichen Gesetzen folgen wie Licht in einem Fernglas, Mikroskop oder Fotoapparat. Der Beschleuniger kann auch Abbildungsfehler haben wie ein optisches Gerät. Hattest Du als Kind mal ein Spielzeugfernglas aus Plastik? Da gab es bunte Ränder an allem was man gesehen hat. Regenbogen. Sogenannte Farbfehler, chromatische Fehler sagt der Optiker. Die sind in guten Ferngläsern und Objektiven kompensiert. Das machen besondere Linsen. Das gibt es bei unserem  Beschleuniger auch. Chromatische Korrektur oder Chromatizitätskorrektur. Die Farbe entspricht dabei der Energie der Teilchen. (wie beim Licht).

Der Beschleuniger kann auch eine Art Brille bekommen. Das was der Optiker mit dem Zylinder bei der Brille kompensiert. Dem Astigmatismus, den Kompensieren wir mit einem Sextupol-Magneten.

Grüße,

Jens

 

Lieber Jens,

Du siehst, eine Woche brauche ich etwa für ein Gedicht. Hier ist es:

 

Diese rasenden Teilchen

Die Frau fragt den Physiker was klein sei

Sie muss dabei an die kleinsten Dinge in ihrer Handtasche denken

Jene Krümel die niemals ans Tageslicht kommen darum versteht sie ihn

Wenn er von Teilchen spricht und von ihren Strahleigenschaften

  

Oder von Kernbausteinen und die Frau überlegt

Wo zwischen all jenen kleinen Dingen noch Raum bleibt

Für das was ihr wirklich wichtig im Leben erscheint und groß

Das was zwischen zwei Menschen geschieht wenn sie schweigen

Zum Beispiel oder die Abgründe am Ende von Grün und

Sie lächelt wenn er den Tanz der Teilchen beschreibt und dabei

Wörter wie Stimmung und Arbeitspunkt beugt ein Vergleich

Mit etwas aus der weichen Welt. Wie soll man sich

Einem Physiker verständlich machen wenn man über die Zeit oder

Den Raum spricht in denen man jenseits von Worten und zwischen

Allen Gedanken plötzlich die Entstehung des Menschen aus Staub begreift

 

Herzlich,

Ursula

 

Kommentare von Jens Stadlmann

Zu Strophe 1:

Das ist ein sehr schöner Vergleich. Tatsächlich gehen wir noch weiter. Wir wollen nicht nur diese Krümel suchen, sondern noch sagen, aus was sie gemacht sind und woher sie gekommen sind. Schlimmer noch, wohin sie gehen.

Zu Strophe 2:

Machen wir alle einen so gestressten Eindruck? Auf der Suche nach den Bausteinen der Welt. Wahrscheinlich! Viele sind hier getrieben. Kann es grundsätzlich einen entspannten Entdecker geben? Ist Unzufriedenheit der Schlüssel zur Verbesserung? Geht es auch anders? Das wäre schon wieder ein neuer Forschungsgegenstand der Geisteswissenschaft.

Zu Strophe 3:

Der Mensch und die Welt sind aus Staub. Genau aus Sternenstaub. Ein Vergleich, der uns Menschen zum Lächeln bringt, weil wir Sterne als etwas Positives, Nettes in den Gedanken haben. Die Sterne funkeln und stehen für die Unendlichkeit des Universums. Sie sind gerade, weil man sie dort so einzeln funkeln sieht, ein Beweis der Endlichkeit des Raumes (sonst wäre es nachts nicht dunkel).  Andererseits sind Sterne gar kein schöner Ort für Menschen. Selbst unser kleiner Stern ist furchtbar radioaktiv, unglaublich heiß und spuckt öfters wilde Glutzungen in den Raum, die, wenn sie unserer Erde entgegengestreckt werden, auch mal zu Ausfällen bei Kommunikation und Energieversorgung führen.

Und ich soll jetzt etwas schreiben? Ein Gedicht, einen Text? Ich versuche es. Es schildert etwas, das mich in den letzten Wochen so behindert hat, mit unserem Projekt weiterzukommen. Deswegen fand ich es passend.

Inbetriebnahme

Ziel und Aufgabe ist dem Lauf des Lebens gleich ein immerwährender Kreis.

Umwege und Hindernisse säumen auch hier den Weg.

Tag und Woche wird gekämpft, gezweifelt und versucht.

Über allem thront  der Plan von Strahl und Experiment.

Unerbittlich aber lautlos hält er alle in der Hand.

Der kleine Mensch soll suchen was die Maschine nicht verrät.

Wie Zwielicht im Nebel sieht er nachts den ersten Schimmer.

Hat die Natur mit Lebens Quell den Kreis gebogen und gestört?

Gefangen im Rad bleibt der Mensch zurück und muss sich nun ergeben.

 

Kommentar von Ursula Teicher-Maier:

Der kleine Mensch wird in Betrieb genommen.

 

Lieber Jens,

es ist schwieriger, auf einen geformten Text von Dir zu reagieren, als auf Deine Erläuterungen zu dem, was Du bei der GSI machst. Dennoch ein Versuch:

  

Zwielichtig beispielsweise

Im Nebel verbergen sich die größten Dinge

Sagt die Frau und spricht vom kleinen Menschen

Der sich ein Haar ausreißt um daran

Sein Leben aufzuhängen beispielsweise

Oder sie spricht von Bäumen und meint den Mann

Der an jener Maschine baut die den Kosmos verkörpert

Und während er nach Namen sucht wie Sternenstaub

Oder die Glutzungen der Sonne beschreibt

Wird sie immer stiller denn Sprechen ist eine Form

Von Wirklichkeit die weit entfernt ist von den Dingen

Einzig Musik wie Ravels Boléro beispielsweise scheint ihr

Geeignet Nebel und die Dunkelheit des Raumes auszuhalten

 

Grüße,

Ursula

 

Lieber Jens,

hier nun mein letzter Text für diesen Abschnitt unserer Zusammenarbeit. Du nennst sie Spiel; vielleicht hast Du Recht.

  

Dubnium + Meitnerium =  Ζ 214 oder Hähnchen, geh nach oben

Diese Forscher sind einfach zu groß für das was sie untersuchen

Keiner von ihnen kennt sich im Inneren eines Atomkerns aus

Keiner hat jemals von dort aus die Welt betrachtet oder wäre

Dabei gewesen wenn jene aufregenden Elemente entstanden

Und sich in Bruchteilen von Sekunden wieder verwandelten

Keiner hat jemals gerufen willkommen an Bord oder etwas

Ähnliches und selbst für ein Winken war kein Raum keine Zeit

Nur eine Maschine war Zeuge von Geburt und Sterben

Nur sie maß den beschwingten Flug von Teilchen nur sie

Filterte die Elemente rechnete Zerfallsketten aus

Die Welt des Winzigen ist ihr eigenes Gegenteil (Masse = Tanz) nur

Gedanken können so winzig sein dass sie die Unendlichkeit erreichen

 

Herzliche Grüße,

Ursula

 

Hi, Ursula,

es war etwas im Weg im  Synchrotron.

Jens

 

Lieber Jens, 

eigentlich wollte ich ja nichts mehr schreiben, aber dieses "es war etwas im Weg ..." ließ mir keine Ruhe. Darum hier noch ein Text. Ich entferne mich darin von der GSI, aber es ging ja in unserer Arbeit auch darum, kreative Prozesse von Wissenschaftlern mit denen von Künstlern zu vergleichen.

 

Warum Philosophen so gern den Finger ans Dunkle legen

Im Synchrotron sei etwas im Weg gewesen schreibt der Physiker

Und die Frau überlegt was es war ein sperriges Wort vielleicht

In der Kurve fallengelassen ein Wort wie Gras das auch

Rückwärts zu sprechen ist und vom Ende her

Oder ein gefallener Engel bei seinem letzten Versuch die Licht

Geschwindigkeit von Schatten zu verkörpern

Die Frau muss an all die Dinge denken die ihr je im Weg gewesen sind

Und an ihre Art damit umzugehen den Sprung in den Straßengraben

Beispielsweise oder die Ablenkungsmanöver bei Männern

Und Hunden mit Stöckchen und Sex

Sie bezahlt meistens bargeldlos aber sie braucht den archaischen Wind

Um sich als Hindernis zu begreifen für sich selbst und alles was fließt

Warum weiß ich dass sich der Bleistift nicht schmerzlos durch meine Hand

Stecken lässt fragt Ludwig Wittgenstein und die Frau hat längst

Schon erkannt dass Widerstand eine Form von Fließen sein kann

 

Viele Grüße,

Ursula

 

Hi Ursula,

das Hindernis für den Strahl und damit auch für unser Literaturprojekt war eine dünne zerknüllte Folie aus Aluminium. Aus den Tiefen des Raums mit etwas Abstand auf unsere Erde blickend, nicht unwahrscheinlich. Aluminium ist eines der häufigsten Elemente auf unserer Erde.

Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, dass ich es gefunden habe oder ärgern, dass es dort in das Strahlrohr gelangt ist.

Ich habe auf jeden Fall schon viele Geschichten erfunden, wie es dort hinein kam.

Die Künstlerin sollte das letzte Wort haben.

Jens

 

Lieber Jens,

so sei es denn. Hier noch ein Text:

 

Krümmung der Wellenfunktion + potentielle Energie mal

Wellenfunktion = Gesamtenergie mal Wellenfunktion oder

Schrödingers Hund

Der Physiker erzählt uns gerne Geschichten er weiß

Dass wir ohne ihn das verrückte Spiel der Atome

Diese Sprünge von Teilchen niemals verstehen würden

Er kennt sich aus mit Plots und Spannungsbögen er ist

Der wahre Erzähler der uns von hellen Riesen berichtet

Von weißen Zwergen oder von einer Katze die tot ist 

Und auch lebendig solange keiner hinschaut der Physiker

Spricht von schwarzen Löchern und wir halten uns an

Den Balken der Luft fest nennen sie Gedanken

Finster schaut uns das All aus den Augen

Des Physikers an und wir glauben ihm alles weil er uns

Formeln verspricht für das was wir nicht denken können

Ich finde Gott nicht vor in Raum und Zeit sagt Erwin Schrödinger

Und wir fragen uns ob hinter den Worten der Atem der Welt ist

Und ob Worte aus Masse entstanden sind oder aus Licht

 

Viel  Freude bei  Deiner Arbeit!

Ursula

©Ursula Teicher-Maier, Lyrikerin + Dr. Jens Stadlmann, Kernphysiker

In: Vom Targetrad zum Federkiel,
(hrsg. von Gruner, Malwitz, Pomplun) ISBN: 978-3-87390-391-3