Auf den Spuren Claude Monets in der Normandie

Eigentlich erinnern mich impressionistische Bilder an meinen ungeliebten Kunstunterricht in der Schule. Eigentlich fand ich immer, Monets Seerosenbilder seien im Bewusstsein vieler zu einer Art anspruchsvoller Blümchentapete verkommen. Aber auf den Spuren von Claude Monet durch die Normandie zu fahren, reizt mich dann doch. Und die dreitägige Reise ist so gelungen, dass sie sich für ein Wochenende zur Nachahmung eignet.

Sie beginnt in dem malerischen Ort Giverny, in den der Maler Claude Monet mit 43 Jahren zog. Sie beginnt im ehemaligen Hotel Baudy. In dem Haus, das heute nur noch Café ist, stiegen zu Monets Zeit viele Künstler ab – unter anderen Paul Cézanne. Wir setzen uns in den Garten des Cafés mit den himmelblauen und orangefarbenen Tischen, trinken einen Café au lait und kommen an: in Frankreich, in einem trubeligen Dorf voller Touristen, die alle wie wir in Monets berühmten Garten wollen, den er bis zu seinem Tode liebevoll gestaltete und malte. Doch zuerst schauen wir uns den Rosengarten des Hotels Baudy an. Er ist ein Augen- und vor allem ein Nasenschmaus, da er herrlich duftende alte Rosensorten versammelt. Zwischen den Rosenbüschen steht noch das älteste Atelier jener amerikanischen Künstler, die Monet nach Givery folgten und hier von 1887 bis 1914 eine Künstlerkolonie errichteten. Staffeleien, eingetrocknete Farbtuben, ein rostiges Fahrrad erwecken den Eindruck, die Maler seien erst vor kurzem abgereist. Sie, die von Monet zum Malen in seinen Gemüsegarten und in die Umgebung emittiert wurden, weil er in Haus und Garten seine Ruhe vor ihnen haben wollte.

Doch auch er eroberte sich die Umgebung des Ortes im Seinetal. An den steilen Hängen über Giverny hielt er sich tagelang alleine auf und malte beispielsweise eine Serie von Getreideschoberbildern. Eine Rangerin bietet hier geführte Gänge an und zeigt den Besuchern die zahlreichen Orchideen, die an den Wegrändern stehen. Nach diesem Spaziergang beziehen wir unsere Zimmer in der Pension La Réserve, die sich etwas außerhalb von Giverny am Waldrand befindet. Das Gebäude, das wie ein Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert aussieht, wurde von den Besitzern völlig neu erbaut. Die acht individuell gestalteten Zimmer, der Begrüßungstrunk auf der Wiese und auch das Frühstück an einer großen Tafel am nächsten Morgen sind ein Erlebnis besonders französischer Art.

Dann ist es so weit: Wir stellen uns in die Schlange von Menschen, die Monets Garten besichtigen wollen. Rund eine halbe Million Besucher sind es im Jahr. Und ein gefühlt beträchtlicher Teil davon bevölkert nun das Künstlerhaus und die beiden Gartenteile. In dem einen ziehen die Rosenbögen immer wieder den Blick auf das Wohnhaus Monets. Der zweite, der Seerosengarten, wird von der „japanischen“ Brücke dominiert – vielleicht, weil sie einem so bekannt vorkommt. Wie oft hat man sie in Monets Gemälden gesehen. Bei uns Betrachtern ist es ja umgekehrt wie beim Künstler: Wir schauen uns den Garten auf der Matrize der uns bekannten Gemälde an, während der Künstler Monet die Matrize Garten für seine Bilder nutzte. Im Grunde ist es beinahe so, als höben wir den künstlerischen Prozess auf und setzten unseren eigenen an seine Stelle.

Die Schlange vor dem Wohnhaus ist beträchtlich, und, endlich eingelassen, schiebt sich die Menge durch Küche, Wohn- und Schlafzimmer. Im Garten, der jetzt mit großköpfigem Mohn bepflanzt ist, wird hundertfach das selbe Motiv fotografiert. Und doch: die farbenprächtig gekleideten Besucher wirken im Garten wie eine andere, eine kostbare Blumenart.

Ganz nah am Garte n befindet sich das Musée des Impressionnismes Giverny. In seinem Restaurant stärken wir uns für die Ausstellung (bis zum 18. Juli noch: Impressionnisme au fil de la Seine). Und anschließend spazieren wir durch die Gartenanlage des Museums zu einer Wiese mit blühendem Mohn, welche von Teilnehmern eines der Malkurse abgemalt wird. Naturnahe, so wie diese Wiese, wollte Monet seinen Garten gestalten. Der heutige, artifizielle ist längst das Produkt seiner Nachfolger.

Wir fahren nun ein Stück durch das Seinetal nach Rouen. Hier, im Musée des Beaux-Arts, wird für die Zeit vom 4. Juni bis zum 26. September eine Ausstellung von über hundert Meisterwerken von Monet, Gaugin, Pisarro und anderen Impressionisten vorbereitet. Dies geschieht im Rahmen des normannischen Festival Impressionniste 2010.

Doch wir sind auf den Spuren Monets unterwegs, und die führen uns durch die Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern zur Kathedrale. Vor der hielt sich der Künstler nämlich von 1892 bis 1894 immer wieder auf, um die berühmte Serie der Kathedralenbilder zu malen. Er zog von Haus zu Haus und bat die Geschäftsleute, von ihren Fenstern aus arbeiten zu dürfen. Um den sich schnell verändernden Lichtverhältnissen gerecht zu werden, malte er gleichzeitig an zehn Bildern. Im früheren Haus des Textilhändlers Monsieur Levy ist heute das Fremdenverkehrsamt der Stadt untergebracht. Und im Lagerraum, wo sich die Modelle für Modenschauen umzogen und Monet besessen in Richtung Kathedrale schaute, bieten nun KünstlerInnen wie Edith Mollet-Oghia impressionistische Malkurse an. Sie erklärt uns, wie wir die Grundfarben mit vielen kleinen Pinselstrichen unvermischt auftragen müssen, damit das Auge das Bild der Kirche in Licht  und Schatten zusammensetzen kann – eine Aufgabe, die einer pixelbegeisterten Generation nicht schwer fallen dürfte. Und bei all der Pünktel- und Strichelei kommt der Spaß nicht zu kurz.

Über die Universitätsstadt Rouen wäre noch viel zu sagen. Dass Jeanne d’Arc hier starb und Gustave Flaubert und Pierre Corneille hier geboren wurden beispielsweise. Doch wir sind ja in Sachen Spurensuche unterwegs. Darum zieht es uns nun ans Meer nach Étretat, wo Monet und andere Maler seiner Zeit  den Anblick der Kreidefelsen im Bild festhielten. Monet malte die Felsen von Étretat sechzig Mal, und dies inspirierte ihn zu den späteren Serien. Doch als wir ankommen, hat der Nebel die Felsen beinahe verschluckt. So beziehen wir erst einmal unser Hotel. Le Donjon liegt am Hang über dem Ort. Seine Besitzer haben dem Haus eine fiktive Historie verpasst  Die Zimmer tragen Namen wie Pierre Loti, Sarah Bernhardt, Isadora Duncan und Claude Monet. Sie stellen durch ihre Ausstattung die Welt ihrer Namensgeber dar, traumhaft und versponnen, so wie sie sich die Hoteliers vorstellten. Darüber hinaus dichteten diese aber auch allen jenen Berühmtheiten, die niemals im Donjon abgestiegen sind, hier fiktive Begegnungen, konspirative Treffen, amours foux, an, was der Hausgast in der „antiken“ Hauspostille nachlesen kann. Das Haus ist teuer, aber der Luxus lohnt sich für eine oder zwei Nächte. Ich habe von meinem Zimmer aus einen herrlichen Blick auf das Meer mit den Kreidefelsen und den Ort. Nun kann ich die Fotos machen, die unten am Meer nicht gelangen. Und nun erlebe ich etwas, das vielleicht mit der Spurensuche zu tun hat, auf der ich mich befinde. Ich bin besessen davon, die Felsen im sich verändernden Licht zu fotografieren. Und so bleibe ich lange am Fenster sitzen und fotografiere immer wieder das selbe Motiv und muss dabei an Claude Monet denken, der sich die Aufgabe stellte, das Licht in die Bilder zu fangen.

Informationen:

Flug nach Paris (Charles de Gaules), dort Leihwagen mieten.
Anfahrt über Paris, Südumgehung N104, auf der A13 weiter bis Giverny.