Der Brigadegeneral erklärt den Krieg. Der Mann und die Frau hören ihm zu, denn der Brigadegeneral ist Experte.

Panzer, sagt er, sind mächtige Instrumente. Wenn sie im Keil angreifen, sagt er, bebt der Boden. Aber Panzer, sagt er, sind nur ein Instrument im Symphonieorchester. Nur zusammen mit den Grenadieren, mit Infanterie und Artillerie, sagt er, erzeugen sie einen guten Klang. Eine einzelne Instrumentengruppe macht noch keinen musikalischen Hochgenuss, sagt der Brigadegeneral.

Mann und Frau schauen sich an. Der Mann schaltet den Fernseher aus. Die Frau öffnet das Fenster. Beide schauen in die Nacht hinaus. Beide horchen in die Nacht hinaus. Sie sehen einzelne erleuchtete Fenster. Sie hören einen verspäteten Vogel im Garten flattern. Sie hören den Nachtjäger Igel wieder über die Terrasse poltern. Sie lauschen dem fernen Rauschen der Schnellstraße. Das ist ein guter Klang, sagt der Mann. Es geht immer noch schlimmer, sagt die Frau.

In den Köpfen von Mann und Frau grollt ein Donnern. Das Donnern ist nicht das eines aufkommenden Gewitters. Es ist nicht das einer Trommel oder eines Gongs. Es ist das Donnern ferner Kanonen, denkt der Mann. Es ist das Donnern der Gedanken, denkt die Frau. Das Donnern in ihren Köpfen schwillt an. Das Donnern verlangt nach vergessenen Wörtern. In die Köpfe von Mann und Frau zieht der Feind ein.

                                                                                                  

                                                                              

 

Soldaten bewachen den Flugplatz von Kabul

Sie stehen wie Felsen am Meer aus wogenden Menschen
Menschen in langen Kleidern mit leichtem Gepäck
Drängen auf jene Brücke, legen ihr Liebstes Soldaten ans Herz

Denn draußen bewachen die Taliban das dunkler werdende Land
Sie sind jung und bärtig und küssen zärtlich die Waffen
Und fressen Kreide, bisweilen schießen sie
Fröhlich in die Luft oder in weiches Gewebe

Wer die Brücke betritt hat Flügel und fliegt nach heute zurück
Mancher fällt herab ins versteinerte Lächeln der Stadt
Und des Landes und jener Gesichter, für die Gott
Streng nach dem eigenen Bildnis geformt ist

Siebentausend Kilometer entfernt sitzen der Mann und die Frau
Vor dem Fernseher, sie können sich nicht
Von den Bildern lösen, draußen hält unbemerkt
Der Herbst Einzug im Garten und manches Andere

Das sie nicht sehen können, aber es ist da
Wie die Kriege am Hindukusch, die mit den Bildern
In ihrem Wohnzimmer ankommen, um sich auf der Couch
Und in ihren Köpfen einzunisten wie etwas aus ihren eigenen Zellen

Mann und Frau fragen sich, ob es ausgebrütet sein wird
Wenn die Luftbrücke unter den Füßen der Menschen bricht
Und ob die Flügel dann stark genug sind, um sie zu tragen

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FUKUSHIMA

sechs Texte von Ursula Teicher-Maier

für Eiko 

 

Fukushima I

Wir bewundern die Ruhe dieser Japaner

Die gegen den atomaren Niederschlag

Ihre Regenschirme aufspannen während

Die Geigerzähler dicht an ihren Körpern zu ticken 

Beginnen schlagen die Zeitungsbilder schweigend Alarm

Werfen die Brennstäbe in Fukushima den Mantel 

Ab erhebt sich eine Wolke welche kein Himmel will

Lernen wir Wörter wie Totzeit mit allen Zellen zu verstehen 

 

Fukushima II

Wir sehen auf den Bildern den Mann durch Fukushima wandern

Er trägt diese Himmelscamouflage

Wie die Atommeiler bevor sie havarierten

Er behauptet er sei Buddha oder Jesus und trage nun endlich

Den Koffer voller Tränen hinaus übers Meer

Doch niemand achtet auf ihn und seinen Jahrtausende alten Schritt

Selbst als er die verlorene Puppe aus dem Schlamm zieht und hochhebt

Halten ihn alle für den Spinner der mal wieder übers Wasser gehen 

Oder einem Baum namens Bodhi die Geschichte vom Wesen der Dunkelheit entlocken will

Wir sehen die Arbeiter in den weißen Strahlenschutzanzügen

Wir sehen die zärtlichen roten Löschfahrzeuge 

Wir wissen dass diese Art der Liebe unser Sterben braucht um

Am Leben zu bleiben

                  

Fukushima III, Cut

In diesem Zeitungsbild blieb die Explosion / einfach stehen

Und wir fragen uns ob / es möglich wäre die Welt

Jederzeit anzuhalten wie jene / Atomreaktion

Es könnten sich ungeahnte / Möglichkeiten ergeben

Zum Beispiel die / in Bildern zu leben sagst du und willst

Nur noch weg aus diesem anfangs- / und endlosen Film 

In dem Explosionen nicht zu stoppen / sind während ich

An Zeitungsarchive denke und an 

Implodierende Träume und das 

Was hinter dem t / von Zeit steht

Dann bleiben wir am Frühstückstisch / sitzen 

Und warten auf die / Zeitung von morgen 

Gefangen in einem Bild 

Das zu verlassen uns plötzlich / tollkühn erschiene

 

Wolke

Der Mann und die Frau sitzen vor dem Fernseher. Auf dem Bildschirm ist die Katastrophe in Handgröße zu sehen. Ein daumengroßer Reaktor explodiert. Ein anderer daumengroßer Reaktor hat ein nagelgroßes Loch. Ein dritter daumengroßer Reaktor ist bloß noch ein Stahlskelett. Eine weiße Wolke erhebt sich über das Stahlskelett. Ein zeigefingergroßer Physiker erklärt, was Kernschmelze bedeutet. Die Stimme des Physikers ist ruhig. Die Stimme des Moderators ist aufgeregt.

Mann und Frau halten sich an den Händen. Mann und Frau sprechen nicht. Mann und Frau fürchten, dass ihre Worte die weiße Wolke ins Wohnzimmer ziehen könnten.

                   

Tsunami

Die Frau liest Zeitung. Der Tsunami ist im fernen Japan. Der Tsunami hat im fernen Japan viele Städte und Dörfer zerstört. Die Frau schaut die Bilder der zerstörten Städte und Dörfer an. Die Bilder sind voller kleiner Teile von Fabriken, Wohnblocks und Einfamilienhäusern. Sie sind voller kleiner Teile von Lastwagen, Bussen und Autos. Sie sind voller kleiner Teile von Wellblechschuppen, Garagen und Gartenhütten. Die Frau möchte die vielen kleinen Teile wieder zusammensetzen. Die Frau sieht den Schnee auf die vielen kleinen Teilen fallen. Der Schnee ist eine Decke, die nur in der Ferne wärmt.

                   

Uranus

Der Mann und die Frau sitzen auf der Terrasse und schauen in die Sterne. Dort über dem Horizont steht Uranus, bald wird er hinter der Sonne verschwinden, sagt der Mann und legt den Zeigefinger an den Himmel. Die Frau versucht, Uranus über der Spitze des Zeigefingers zu erkennen. Doch das Bild eines Mannes im Atomkraftwerk Fukushima, der sich an die Brust fasst und stirbt, stellt sich vor den Planeten. Das Bild des Mannes, der sich an die Brust fasst und stirbt, deckt den Himmel mit dem Zeigefinger ihres Mannes zu. Ich nenne ihn Uranus, weil ich seinen Namen nicht kenne, denkt die Frau. Das Bild des Mannes, der sich an die Brust fasst und stirbt, hat nun einen Namen. Der Name erinnert die Frau an ihre Schwester, die den Himmel gebar, um das Strahlen zu lernen.

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